Zwölf Azubis wollen es wissen: Wer ist der Beste an der CNC-Fräse und der CNC-Drehmaschine? Und wer erhält ein Ticket zu den WorldSkills, der Berufs-Weltmeisterschaft 2017 in Abu Dhabi?
Stuttgart. Präzision ist ihr Ding: Mit Adleraugen kontrolliert Zerspanungsmechanikerin Eva-Maria Wahl jede Bewegung der CNC-Fräsmaschine. Hier entsteht gerade ihr Meisterstück, was sie zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht ahnt: ein Ticket für das Team Germany zu den Weltmeisterschaften der Berufe (WorldSkills) 2017 in Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate.
Die Anspannung steht ihr ins Gesicht geschrieben. Während der Internationalen Ausstellung für Metallbearbeitung auf dem Messegelände Stuttgart ringen je sechs junge Nachwuchskräfte unter 22 Jahren in den Berufen CNC-Fräsen und CNC-Drehen um den Titel des nationalen Champions.
Die 20-Jährige aus Irndorf (Kreis Tuttlingen), die gerade ihre Ausbildung beim Maschinenbauer Chiron in Tuttlingen abgeschlossen hat, ist seit Wochen morgens zwei bis drei Stunden früher aufgestanden, um zu üben: „Ich will das unbedingt schaffen!“, sagt sie.
Unter Zeitdruck und nach strengen Regeln müssen die Teilnehmer mehrere Tage lang Werkstücke fertigen und bearbeiten. Dabei sind alle Kenntnisse gefordert, vom Erstellen lauffähiger CNC-Programme anhand vorgegebener Fertigungszeichnungen über die Wahl der Bearbeitungswerkzeuge und das Einrichten der Maschinen bis hin zur Werkstückherstellung.
Am Ende prüft eine Jury, wer das präziseste Teil erstellt hat. Gemessen wird dazu in einem externen Labor – bis auf ein hundertstel Millimeter genau. Intelligenz beim Programmieren und handwerkliches Geschick bei der Umsetzung der gestellten Aufgabe reichen aber nicht für den Sieg. „Man braucht Durchhaltevermögen, Gelassenheit und starke Nerven“, erklärt Chiron-Ausbildungsleiter Herbert Mattes, der das CNC-Fräsen betreut.
Stimmt. Denn der Messetrubel verlangt den Techniktalenten einiges ab: neugierige Besucher am Stand, Musikbeschallung, fragende Reporter, hektisches Gerenne. „Wer sich hier konzentrieren kann, ist auch im Beruf jeder Situation gewachsen“, meint Matthes. Besonders gemein: In diesem Jahr wurden zusätzliche Schikanen eingebaut. Als Eva gerade eine komplizierte technische Zeichnung in ein Computerprogramm übersetzt, erscheint ein „lustiger Intelligenztest“ auf ihrem Bildschirm. „Finde drei gleiche Käferpaare!“ „Oh Gott“, stöhnt sie und sucht gehetzt nach den passenden Insekten. Erst dann darf sie weitermachen.
Starke Nerven sind auch bei Louis Bolte gefragt. Dem angehenden Dreher des Umform-Spezialisten Winkelmann-Group im westfälischen Ahlen ist ein Bedienerfehler passiert. Jetzt ist seine Maschine defekt: „So was von ärgerlich“, schimpft der junge Mann, der mit ganzem Herzen beim Wettbewerb ist. Gibt er auf? „Aber nein!“, sagt Bolte. Und ergänzt mit einem hoffnungsvollen kleinen Lächeln: „Wer weiß, was noch passiert. Aber alleine an so einer tollen Maschine stehen zu dürfen, das ist für mich die ganze Mühe wert.“
Im Vorfeld hat er – wie alle anderen Teilnehmer – Aufbauschulungen und Trainings erhalten. Mit den CAD-CAM-Systemen, den Maschinen und Werkzeugen, ist er also vertraut. „Allerdings kenne ich mich hier nicht so gut mit jedem Handgriff und Knopfdruck wie bei meiner Ausbildungsmaschine im Betrieb aus“, bedauert er. Bei den Vorausscheiden im Drehen hatte er sich zuvor souverän gegen 30 Mitbewerber durchgesetzt. Eva-Maria Wahl musste im Vorfeld übrigens gegen 10 andere Fräser angetreten.
„Hier wird Leistung auf dem höchsten Niveau gezeigt“, unterstreicht Jörg Harings. Als Gesamtleiter Training der DMG Trainingsakademie, die zum Bielefelder Gildemeister-Konzern gehört, verantwortet er den nationalen Wettbewerb im CNC-Drehen. „Allein die Teilnahme ist ein Highlight im Lebenslauf!“ Das ist ein Wort, denn letztes Jahr gab es bundesweit 1,38 Millionen Lehrverträge in 328 Ausbildungsberufen. Und dieses Jahr begannen allein in Baden-Württemberg 40.600 junge Menschen ihre Berufsausbildung bei einem Industrie-, Handels- oder Dienstleistungsbetrieb, bundesweit waren es rund 517.000. Die Karriere als Zerspanungsmechaniker wählten landesweit 968 Männer und Frauen.
Am Ende des mehrtägigen Wettbewerbs kann Eva-Maria Wahl ihr Glück kaum fassen, als sie zur Siegerehrung auf die Bühne gerufen wird: Sie ist jetzt Deutsche Meisterin im Fräsen und damit die erste Frau überhaupt, die sich mit diesem Titel schmücken kann. Eine ganz besondere Leistung, zumal der Anteil der Frauen in diesem Beruf nur bei rund 5 Prozent liegt.
Hervorragend schnitten übrigens auch ihre Chiron-Mitstreiter ab: Steffen Sigrist (21) schaffte es auf Platz zwei, und Marius Rüdinger (20) belegte Platz drei. Im Drehen siegte der 20-jährige Lukas Bosslet aus Blieskastel, der gerade seine Ausbildung als Zerspanungsmechaniker bei Festo, dem Spezialisten für Automatisierungstechnik im saarländischen St. Ingbert-Rohrbach, absolviert. Pechvogel Louis Bolte schaffte es leider nicht aufs Siegertreppchen.
Die beiden Erstplatzierten treten nun als Mitglieder im Team Germany bei den nächsten Weltmeisterschaften der Berufe, den WorldSkills 2017, in Abu Dhabi an.
Berlin. Für die WorldSkills-Champions öffnen sich Türen, die Teilnahme an den Weltmeisterschaften der Berufe ist ein Karriere-Booster. AKTIV sprach mit Hubert Romer, Geschäftsführer der WorldSkills Germany, woran das liegt.
Olympische Spiele der Berufe. Was bringt das jungen Leuten?
Es begeistert sie. Wir schaffen damit tolle Bilder, die Jugendlichen bei der Berufswahl als Vorbild dienen. Wir zeigen, dass sich Leistung lohnt und man mit Ausbildungsberufen Großes erreichen kann.
Warum müssen die Teilnehmer denn so hart kämpfen?
Viele ehemalige deutsche Champions und Teilnehmer an Berufe-Welt- und Europameisterschaften haben ihren Platz in leitenden Positionen der Wirtschaft gefunden oder sind selbst Unternehmer. Bei den beruflichen Wettbewerben entwickeln die Teilnehmer umfangreiche Kompetenzen, die über das fachliche Können weit hinausgehen.
Auf welche Fähigkeiten legen Unternehmen besonderen Wert?
Das Abrufen von Höchstleistung unter Stress ist ein oft genannter Punkt. Im Berufsalltag kommt solch eine Situation öfter vor, da ist es gut, wenn jemand einen kühlen Kopf bewahren kann. Aber auch Teamarbeit und Denken in komplexen Strukturen wird bei der Wettkampfvorbereitung geübt.
Kann theoretisch jeder Azubi teilnehmen?
Aber ja, in jedem steckt das nötige Potenzial. Und es gibt verschiedene Level von Wettkämpfen, auf denen man Erfolg erleben kann – von regional bis international.
Bringen uns solche Wettbewerbe denn auch international nach vorne?
Sicher. Hier bietet sich die einmalige Chance, die Berufsausbildung weltweit qualitativ zu vergleichen, eine Benchmark zu bilden und sich zu optimieren. Bei Chiron zum Beispiel darf der Nachwuchs jetzt schon sehr viel früher an die CNC-Maschinen als bisher.
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