"Wir liefern alles": In der Geheimzentrale bei Hollywoods Waffendealer - WELT

2022-08-08 09:34:33 By : Mr. Zhixue Wang

D ie Adresse ist ein Geheimnis. Wir dürfen also nur verraten, dass sie in einer ziemlich unaufregenden Straße im Süden von Manhattan liegt; dass sich gleich nebenan ein Kleidergeschäft befindet; und dass die Sicherheitsvorkehrungen streng sind.

Der Besucher klingelt und schaut in ein Kameraauge, dann wird er von einer weiblichen Stimme zu einem zweiten Eingang gleich um die Ecke geschickt; dort schaut er wieder in ein Kameraauge, und erst jetzt öffnet sich mit einem kurzen Summen die Tür.

Später erfährt der Besucher, dass es noch verschiedene andere Möglichkeiten gegeben hätte, ihn abzufangen – sagen wir: wenn er nicht allein, sondern mit einer Gruppe unangemeldeter Herrschaften erschienen wäre. So etwas sähe man hier nicht besonders gern.

Die Firma heißt The Specialists. Wer jetzt sagt: Dieser Firmenname klingt nach undurchsichtigen Machenschaften, Leuten mit Knarren, Geheimaufträgen und Prominenten, kurz und gut, nach Agentenfilm – der befindet sich auf der richtigen Fährte. Just darum geht es an dieser Geheimadresse. Denn die Spezialisten, die hier arbeiten, bestreiten ihren Lebensunterhalt vornehmlich mit dem Waffenhandel. "Wir liefern alles, vom steinzeitlichen Faustkeil bis zum Abrams-Panzer", sagt Rick Washburn, der die Firma gegründet hat und ihr als Präsident vorsteht.

"Wir liefern auch alles dazwischen: Säbel, Pfeil und Bogen, Armbrust, Streitaxt, Maschinengewehr. Aber nicht nur. Seit einiger Zeit haben wir unser Angebot ausgeweitet." Was denn, The Specialists liefern jetzt noch größeres Kriegsgerät als Panzer? "Nein", sagt Washburn. "Wir beschränken uns aber nicht mehr auf Waffen, wir machen auch abgetrennte Gliedmaßen – und überhaupt Requisiten."

Die Waffen, die man bei The Specialists ordern kann, haben nämlich alle eine Eigenschaft gemeinsam: Sie sind nicht echt. Sie sind das, was Regisseure benötigen, die einen Film drehen, in dem Leute mit phallischem Schießzeug durch die Gegend laufen.

Nehmen wir etwa die futuristischen Dinger, die man im dritten Teil der "Men In Black"-Serie bestaunen kann: Sofern dieser Film in New York spielt, haben Rick Washburn und seine Mitarbeiter sie angefertigt.

Oder sämtliche Knarren in sämtlichen Filmen über den Agenten Jason Bourne: geliefert von The Specialists, also von einem Ort aus, den wir nicht preisgeben. Nicht einmal dann, wenn man bei uns ein Instrument in Anwendung bringt, das Rick Washburn uns im Vorbeigehen mit einem maliziösen Grinsen zeigt.

Es spielt in Sacha Baron Cohens Film "Der Diktator" eine gewisse Rolle: ein silbernes birnenförmiges Teil an einem Stab mit einem Griff. Drückt man auf einen Hebel, schieben sich – klick! – rundum scharfe Metallteile aus der Birne. "Es handelt sich um einen Analregenschirm", erklärt Washburn. "Den Rest überlasse ich Ihrer schmutzigen Fantasie."

Wie verhält es sich aber mit real existierenden Waffen und Folterinstrumenten, etwa in historischen Filmen – braucht man dafür nicht extrem viel Recherche? "Bitte, hier ist meine Bibliothek", sagt Rick Washburn. Sie ist in einem Raum gleich neben seinem Büro untergebracht: Regale um Regale mit Büchern über Waffentechnik.

"Hier ist das Mittelalter", der Firmenpräsident deutet in eine Ecke, "hier das 18. Jahrhundert, dort die Bronzezeit." Aber nicht nur Bücher über Waffen findet man in diesen Regalen, sondern auch allerhand Nachschlagewerke über ihre Handhabung. Die Spezialisten dieser Firma trainieren nämlich auch Schauspieler: wie man einen Säbel richtig hält, wie man überzeugend einen Fechtkampf simuliert, ohne einander wehzutun.

"Neulich war hier jemand, der wollte einen Polizeifilm über die 70er-Jahre drehen", erzählt Rick Washburn. "Die Schauspieler hielten alle ihre Pistolen so." Washburn legt zwei Fäuste übereinander. "Aber in den 70er-Jahren schoss man noch ganz anders, nämlich mit einer Hand – und man ging dabei in die Hocke." Rick Washburn macht es vor. Dann beschließt er, es sei jetzt an der Zeit, nach unten zu gehen.

Unten, das ist: ein Stockwerk tiefer als sein Büro. Der Besucher findet sich vor einem begehbaren Tresor wieder, einem von der Art, wie man ihn eigentlich vor allem aus Filmen kennt.

Rick Washburn dreht an einem großen Rad, die Tür öffnet sich schwerfällig, man sieht, dass der Tresorraum mit Glas und Stahl gepanzert ist – und drinnen: nur Waffen. Eine hohe Wand mit Pistolen und Revolvern. Eine weitere Wand mit Jagdflinten.

Eine dritte Wand mit Maschinenpistolen, unter ihnen die berühmte Tommy-Gun, die unschätzbare Dienste leistete, als John Dillinger und seine Bande in den 30er-Jahren circa jede Woche eine andere Bank überfielen. In einer Ecke des Tresors liegt ein Granatwerfer.

Diese Waffen hier sind allesamt Fälschungen, richtig? "Nein, die sind alle echt", sagt Rick Washburn. "Wir haben sie zwar so bearbeitet, dass sie nur Platzpatronen zum Knallen bringen. Aber man könnte sie mit Leichtigkeit auch wieder dahin trimmen, dass sie echte Munition verschießen." Dieser begehbare Tresor ist also der Musterraum der Firma. Hierher kommen Filmregisseure, die nicht mehr als einen vagen Wunsch im Hinterkopf haben; sie können dann auf eine Knarre deuten und sagen: "Die da will ich." Und dann bekommen sie sie.

Nun ist die Stadt New York für ihre extrastrengen Waffengesetze bekannt. Anders als manche Europäer glauben, darf man nämlich keineswegs an jedem Ort in Amerika in einen Laden spazieren, ein Schießeisen käuflich erwerben und dann damit am Halfter herumstolzieren. In New York ist es unter Androhung empfindlicher Strafen verboten, auch nur die Nachbildung einer Handfeuerwaffe in der Öffentlichkeit zu zeigen (anderenfalls würde die Polizei zu nervös).

Hat Rick Washburn also eine Ausnahmegenehmigung von Bürgermeister Michael Bloomberg? Er lacht übers ganze Gesicht. "Eine?", sagt er. "Hunderte. Ich kann eine ganze Wand damit tapezieren."

Unterhalb des Tresors befindet sich der Keller. Es handelt sich hier quasi um die monströs übersteigerte Ausgabe eines Hobbykellers mit allermodernsten Werkbänken, Metallfräsen, Computern und Ersatzteilen. Das interessanteste Arbeitsinstrument kann Washburn allerdings nicht zeigen, weil es gerade in der Zweigstelle in Brooklyn steht: der dreidimensionale Fotokopierer.

Dieses Wunderding fertigt von jedem Gegenstand eine Kopie aus Plastik an. "Was die Helden in Filmen in der Hand haben, ist meistens eine echte Waffe, die mit Platzpatronen geladen wurde. Die Statisten in der zweiten Reihe tragen Attrappen aus Metall. Die Leute in der dritten Reihe wurden mit Gummigewehren ausgerüstet. Und die anderen, die mit dem Hintergrund verschwimmen – das sind sowieso nur Computeranimationen."

Rick Washburn ist ein vierschrötiger Mann mit weißem Haar, einem Bürstenschnurrbart, einem schönen breiten Südstaatenakzent und viel Sinn für Humor. Wieder oben in seinem Büro angekommen, erzählt er, wie er zu dieser merkwürdigen Arbeit gekommen ist: Er stammt aus Arkansas, Gewehre gehörten für ihn einfach dazu. An jedem Wochenende, das Gott werden ließ, fuhr seine Familie aufs Land hinaus, und dann wurde mit scharfer Munition auf Bierbüchsen geschossen.

Eigentlich wollte er Schauspieler werden. Aber gleich bei seiner ersten Rolle fiel ihm auf: Die machten alles verkehrt. Die Gewehre waren nicht realistisch, und die Schauspieler fassten sie auch noch falsch an. Er sagte dem Requisiteur Bescheid, der stellte ihn dem Regisseur vor; der Regisseur ernannte ihn prompt zum Waffenspezialisten und drückte ihm 5000 Dollar in die Hand.

Sein nächster Job brachte ihn dann schon mit Francis Ford Coppola zusammen. "Francis sagte: ‚Kannst du uns mit Waffen ausrüsten, die zur Epoche passen, in der unser Film spielt?‘ ‚Klar‘, sagte ich. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das machen sollte. ‚Kannst du sicherstellen, dass die Dinger auch schießen?‘ ‚Kein Problem‘, sagte ich. In Wahrheit stand ich mit leeren Händen da."

Rick Washburn lieh sich das Zeug dann übers Wochenende bei einer Konkurrenzfirma, anschließend stattete Francis Ford Coppolla ihn mit fürstlichen 10.000 Dollar aus. "Ich war im Geschäft. Das war der Anfang meiner Firma." Viele Jahre sei das jetzt her. Es ist aber ein überschaubarer Familienbetrieb geblieben – wenige Angestellte, die mit Feuereifer bei der Sache sind; Rick Washburns Sohn ist der Vizepräsident.

Ob öfter Prominente bei The Specialists vorbeischauen? "Was glauben Sie denn? Neulich saß so ein netter junger Mann hier, ein bekannter Schauspieler, dieser … wie heißt er noch gleich …" Rick Washburn öffnet die Bürotür, ruft ins Vorzimmer: "Wie hieß der Schauspieler, der gestern bei uns war?" Aus dem Vorzimmer ruft es zurück: "Colin Farrell!" Ja, genau der. "Aber das ist hier in New York doch nichts Besonderes. Melanie Griffith wohnt eine Querstraße weiter. Willem Dafoe hat sein Apartment gleich um die Ecke. New Yorker sind es gewohnt, berühmte Leute zu Nachbarn zu haben und sie auch einfach als Nachbarn zu behandeln."

Insgesamt, sagt Rick Washburn, gibt es in Amerika nur vier Firmen, die falsche Waffen für Filme liefern; und auf der ganzen Welt gibt es vielleicht ein Dutzend Konkurrenten für The Specialists. Er denkt allen Ernstes daran, mehr Kunden aus Europa anzulocken. Vielleicht wird in Rick Washburns Tresorraum, dessen Wände harmlose Mordwerkzeuge bedecken, demnächst also auch Deutsch gesprochen.

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